„Dat Wieß un Rut et eß en Staat,
Wie sin die Kääls doch su apaat,
Dröm röf mer frei un fruh:
„De Prinzengarde huh!“
Seit nunmehr 100 Jahren sind diese „apaaten Kääls“ fester Bestandteil des jährlichen Karnevalstreibens, bei dem in Köln die Welt auf dem Kopf steht. Mit Gewehren und Säbeln „bewaffnet“ marschieren, fahren oder reiten die Prinzengardisten Rosenmontag durch die Straßen. In den Krieg ziehen sie aber nicht. Sie beschützen vielmehr Prinz Karneval, oder besser: begleiten ihn und verhelfen dem Prinzen auch heute noch zu Ruhm und Ehre – allerdings auf humoristische Art und Weise.
Wer sind aber diese „apaaten Kääls“, die seit einem Jahrhundert ´mal elegant, ´mal humoristisch das Bild des Rosenmontagszuges mitprägen? Was trieb eine kleine Gruppe von Kölner Karnevalisten um 1900, das Begleitkorps des Prinzen Karneval zu gründen? Haben sie in diesen Jahren anders gefeiert als wir heute, hatten sie die gleichen Sorgen und Nöte? Welche Höhen und Tiefen erlebten die Prinzengardisten im Laufe der Zeit, etwa im Ersten und Zweiten Weltkrieg? Eine Vielzahl von Fragen drängen sich nach hundert Jahren auf, denen in einer umfassenden Untersuchung nachgegangen worden ist. Die Ergebnisse sind in einem Buch zum 100-jährigen Jubiläum nachzulesen.
Die karnevalistischen und nicht-karnevalistischen Vorläufer der Prinzen-Garde
Als Begleiter des Prinzen stehen die Prinzengardisten in einer Tradition, die weit vor 1906, ihrem Gründungsjahr, und auch weit vor 1823, dem Beginn des organisierten Karnevals in Köln, zurückreicht. Denn die Corps du Garde, welche als die (nicht karnevalistischen) Ursprünge der Prinzen-Garde bezeichnet werden können, lassen sich so lange zurückverfolgen, wie es Fürsten gibt. Dienten sie ursprünglich als „Leib-Wacht, sie sei zu Pferde oder zu Fuß, welche zur Beschützung der Person eines Fürsten, Königs oder Kaisers besonders bestellt ist“, spielte diese Wachtfunktion spätestens im 18. Jahrhundert nur noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen hatte die Gardisten in ihren einheitlichen, farbenprächtigen Uniformen schmückende Funktion. Auch der Rat der freien Reichsstadt Köln hatte bereits Mitte des 17. Jahrhunderts ein eigenes städtisches Militär, im Volksmund Rote Funken genannt, aufgestellt, das neben den militärischen sowie ordnungspolizeilichen Aufgaben prachtvoll paradierte und damit repräsentative Funktionen erfüllte.
Ähnlich weit lassen sich auch die karnevalistischen Vorläufer der Prinzen-Garde zurückverfolgen. Schon seit dem 13. Jahrhundert gehörte die Errichtung von Narrenreichen, die wie Staatswesen organisiert waren, zu den Fastnachts- und Karnevalsbräuchen. Neben einem Narrenkönig beziehungsweise Narrenprinzen und einer weiblichen Herrscherin bildeten Zeremonienmeister, Lakaie, Vögte und auch Garden zur (repräsentativen) Bewachung des Herrschers den Hofstaat. Ein solches Reich wurde beispielsweise in Köln des 17. Jahrhunderts von den Jesuiten installiert: Ein gewählter „König Karneval“ regierte in der Karnevalszeit unumschränkt im Kollegium der Jesuiten mit einem eigenen Hofstaat und der obligatorischen Garde. Dauerhaft wurde dort ein Narrenkönig als „König“ oder „Held Carneval“ zusammen mit seinen Garden allerdings erst 1823 von den Gründern des organisierten Karnevals eingeführt. Aus dem Programmheft zum Karnevalsfest 1823 erfahren wir, dass sich die Fußgarde am 10. Februar 1823 um 9.00 Uhr vor der Wohnung des Helden Carneval als Ehrenwache aufstellte. Sie wurde von den Kölschen Funken gebildet. Am Zug selbst war überdies eine „Leibgarde zu Pferde in den mannigfaltigsten Masken-Anzügen“ samt Commandanten beteiligt.
Seitdem gehört die Garde des Helden Karneval beständig zu den am Rosenmontagszug teilnehmenden Gruppen, mal als Fußgruppe, mal zu Pferde. Sowohl die Bezeichnungen – meist wird die Begleitgruppe als „Ehrengarde“ genannt – als auch die darstellenden Personen oder Gruppen änderten sich dabei von Jahr zu Jahr. Allein die Funken entdecken wir immer wieder als „Leibgardisten“. 1887 begegnet uns erstmals der Name „Prinzengarde“: „Da erdröhnen die Pauken und Trompeten des berittenen Musikkorps Prinzengarde, welches, von der Ehrengarde Seiner Tollität des Prinzen Karneval begleitet, dem wunderprächtigen Kolossalwagen desselben vorausrückt.“
Der Traum vom ständigen Begleitkorps des Prinzen Karneval
Wie zu sehen war, stellten die Roten Funken seit 1823 mehrfach das Ehrengeleit des Prinzen Karneval. Einer mündlichen Tradierung nach soll aus ihnen 1906 die Prinzen-Garde direkt erwachsen sein. Anhand der Mitgliederverzeichnisse der Roten Funken lässt sich zeigen, dass die Gründer der Prinzen-Garde, Carl Bormkessel, der erste Präsident, Fritz Tholfus sen., Gottfried Breuer und Gustav Rommerskirchen allesamt zunächst Mitglieder der Roten Funken waren. Gemeinsam lenkten sie über einige Jahre im Vorstand die Geschicke des Vereins der Roten Funken. Schon in dieser Zeit scheinen sie einen gemeinsamen Traum gehabt zu haben – den einer Leibgarde des Prinzen Karneval. Der Traum erfüllte sich zumindest im Funkenkorps noch nicht. Um 1900 verließen die vier Funken nach und nach den Verein, Bormkessel 1899, Tholfus und Breuer 1903 und Rommerskirchen 1905. Ein neues Betätigungsfeld fanden sie nach ihrem Austritt aus dem Funkenkorps in der Großen Karnevalsgesellschaft beziehungsweise in der Großen Kölner Karnevalsgesellschaft, die seit 1889 zusammen das Festkomitee bildeten und gemeinsam den Rosenmontagszug organisierten. Bis auf Rommerskirchen gehörten damit 1905, dem Jahr der Gründungssitzung der Prinzen-Garde, die entscheidenden Gründungsmitglieder des Begleitkorps des Prinzen Karneval den beiden Karnevalsgesellschaften an, welche die Geschicke des Kölner Karnevals maßgeblich lenkten – eine denkbar günstige Voraussetzung für den zu etablierenden neuen Verein.
Carl Bormkessel (1906-1908) – der geistige Vater der Prinzen-Garde
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Carl Bormkessel und seine Getreuen in den zwei bestimmenden Karnevalsgesellschaften saßen, erschien die Umsetzung ihres lang gehegten Traumes von einem ständigen Begleitkorps des Prinzen Karneval zum Greifen nahe – bei näherer Betrachtung der Entwicklungen im Kölner Karneval um 1900 erfolgte die Gründung sogar zwangsläufig.
Wie die Stadt Köln insgesamt, so war auch der Karneval dieser Zeit tief greifenden Veränderungen ausgesetzt. Vor allem in Folge der Industrialisierung mit all ihren sozialen Umbrüchen wandelte sich Köln im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einer modernen Großstadt. Die Einwohnerzahl stieg innerhalb einer kurzen Zeitspanne von rund 120.000 im Jahre 1861 auf 428.722 im Jahre 1905. Vor diesem Hintergrund stieß auch der Karneval in neue Dimensionen vor. Um die Jahrhundertwende war der Maskenzug bereits auf über 70 Personen- und Wagengruppen angewachsen und allein auf dem Neumarkt zählte man 10.000 Menschen. Die Mitgliederzahlen der alteingesessenen Karnevalsvereine stiegen und zahlreiche Vereine wie die Kölner Narren-Zunft im Jahr 1880, KG Alt-Köllen 1883, KG Närrischer Sänger 1894, Große Allgemeine Karnevalsgesellschaft 1900 oder die bereits erwähnte Große Kölner Karnevalsgesellschaft 1882 als Abspaltung von der Großen Karnevalsgesellschaft gründeten sich.
Unter den neuen Garden findet sich die „Ehrengarde der Stadt Köln“, die von 1902 an das Ehrengeleit des Kölner Bauern und der Jungfrau stellte. Diesen beiden Figuren des Dreigestirns stand damit dauerhaft eine Begleitung zur Seite. Prinz Karneval, die zentrale Gestalt des Kölner Karnevals, verfügte darüber jedoch noch nicht – das konnte nicht sein! „Diesem unwürdigen Zustand“, so der Präsident der Großen Karnevalsgesellschaft im Jahr 1906, „dass der Prinz Karneval, dieser höchste Potentat der Erden, der nie älter wird als ein Jahr, darauf angewiesen ist, seine Trabanten zusammen zu bitten, ein Ende zu machen, dazu ist die Prinzengarde da.“ Dies müssen sich die drei ehemaligen Funken um den Gründer der Prinzen-Garde, Carl Bormkessel, gedacht haben, als sie mit dem Präsidenten der Großen Karnevalsgesellschaft, Jean Jörissen, im Frühjahr 1905 zusammensaßen und ihre alte Idee vom ständigen Begleitkorps des Prinzen in die Tat umsetzen wollten. Sie legten die komplette Organisation der neuen Truppe fest − dies allerdings nicht allein, sondern im Verbund mit weiteren Mitgliedern der „Großen“ und der „Großen Kölner”. Durch die Ausweitung des Kölner Karnevals waren die beiden das Festkomitee stellenden Vereine an die Grenzen ihrer finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten gelangt. Eine neue an das Festkomitee gebundene Gesellschaft bot Gelegenheit, die Lasten auf mehrere Schultern zu verteilen. Daher sollte die Prinzen-Garde als Bestandteil des Komitees gegründet werden: Fritz Tholfus sen. wurde aus der „Großen Kölner“, Carl Bormkessel, Gottfried Breuer und Erasmus Pott aus der „Großen“ in den Vorstand der neuen Gesellschaft entsandt. Durch diese Personalunion blieb die Prinzen-Garde in der Folgezeit eng mit dem Festkomitee verbunden. Es wurde außerdem festgelegt, dass die Garde keinerlei Zuschüsse, wie sie andere Vereine für den Rosenmontagszug erhielten, bekommen sollte. Im Gegenteil: Zugunsten der Kasse des Festkomitees sollten zwei Maskenbälle im Gürzenich veranstaltet werden.
Die Weichen für einen erfolgreichen Start der neuen Gesellschaft waren gestellt. Carl Bormkessel lud alle Interessierten zur Gründungssitzung am 16. Dezember 1905 in den gelben Saal der Bürgergesellschaft ein. 24 Herren folgten dem Aufruf und trugen sich ins Aktiven-Register ein. Die Anwesenden werden über die Leitfragen abgestimmt und auch bereits Bormkessel zum Präsidenten, die anwesenden Mitglieder Erasmus Pott als Kommandanten, Gustav Rommerskirchen als Schatzmeister, Gottfried Breuer als Schriftführer und Leo Renner als Literaten in den Vorstand gewählt haben. Auch die für die Garden obligatorische Regimentstochter, dargestellt von Richard Thiede, wird vermutlich schon auf dieser Sitzung „gekürt“ worden sein – von einem Tanzoffizier erfahren wir in diesem Zusammenhang allerdings noch nichts. Von vorneherein gab es ein Fuß- und ein Reiterkorps, von einem Senat, einem Reservekorps oder einem Corps à la suite war noch nicht die Rede. Vermutlich wurde aber bereits die Gardeuniform, die zum äußeren Markenzeichen der Prinzen-Garde werden sollte, vorgestellt. Gottfried Breuer hatte sie entworfen, die Firma Bernhard Richter am Neumarkt gefertigt. Diese Uniform, ihr weißer Rock also mit den roten Aufschlägen und Rabatten, den weißen Gardelitzen und Gamaschen wurde teils preußischen, teils österreichischen historischen Mustern nachgebildet.
Etliche der Gardisten, die sich im Dezember trafen beziehungsweise im Laufe des Jahres 1906 dem Verein anschlossen, können wir fassen. Erasmus Pott beispielsweise, Kölner Bauer des Jahres 1904 und erster Kommandant der Prinzen-Garde, entstammte einer traditionsreichen Kölner Bürgerfamilie. Er wurde am 7. Dezember 1869 geboren und starb fast hundertjährig 1968. Von Beruf war er Dachdecker- und Klempnermeister und führte ein größeres Spezialgeschäft für Bedachungen. Oder Heinrich Thorbeck. Am 18. August 1883 geboren, war er bei der konstituierenden Sitzung 22 Jahre alt. Er scheint beruflich außerordentlich umtriebig gewesen zu sein, besaß auf der Breite Straße ein Geschäft für Polstermaterialien, Möbelstoffe und Wagenbaubedarfsartikel und leitete gleichzeitig eine Seilerei, eine Rosshaarspinnerei und eine Sattlerei. Unter den Gründungsmitgliedern gab es insgesamt sieben Kaufleute. Von ihnen besaßen mindestens drei eine Großhandlung beziehungsweise gleich mehrere Geschäfte. Zwei weitere führten nicht nur ein Geschäft, sondern betrieben gleichzeitig eine oder mehrere Fabriken. Diese beiden Mitglieder mit einbezogen, gab es insgesamt sieben Fabrikanten und einen Besitzer eines handwerklichen Betriebes unter den Gründungsmitgliedern. Hinzu kamen zwei Architekten, zwei Ingenieure, ein Arzt, ein Fotograf, ein Werkmeister, zwei Handwerker und ein Konzertsänger.
Sie alle hatten in dem Haus der Bürgergesellschaft in der Röhrergasse eine neue Heimat gefunden. Dort richtete die Prinzen-Garde ihre erste Wachtstube ein und hielt ihre Sitzungen ab. Am Abend des 1. Januar 1906 sollten die Prinzengardisten ihre Feuertaufe im Kölner Karneval erleben. Gleich auf der ersten Veranstaltung der Großen Karnevalsgesellschaft am 1. Januar 1906 in der Bürgergesellschaft wurden sie in den Kreis der Karnevalsgesellschaften eingeführt. Bald nach 15.30 Uhr zogen 16 Prinzengardisten mit dem Fähnrich, der das Vereinsbanner schwenkte, und unter der Leitung des Kommandanten Erasmus Pott als Begleitung des Ehrenpräsidenten Wilhelm Wildt unter tosenden Jubelrufen in den Versammlungssaal ein. Kurz darauf – die Nationalhymne und ein Lied zu Ehren des Kaisers waren gerade verklungen – wurden sie offiziell von Wilhelm Wildt begrüßt:
„M[eine] H[erren]! Wir haben noch die Prinzengarde zu begrüßen. Sie werden alle entzückt sein über den Schneider, den die Herren zur Verfügung haben. Es ist ein schickes, hübsches Kostüm, in das der Humor noch hineinfliegen muß, wenn es alt und traditionell werden soll wie die Gruppen im Festzug…“
Damit war die neue Garde in den Kölner Karneval eingeführt. Bedingt durch ihre wohlhabenden Mitglieder, ihre gediegene weiße Uniform und ihre Rolle als Begleitkorps des Prinzen Karneval eilte der Prinzen-Garde von vorneherein der Ruf eines vornehm-würdigen Korps voraus.
Ihre erste eigene Sitzung hielt die Prinzen-Garde am 29. Januar 1906 als großes Damenkomitee im Prunksaal der Bürgergesellschaft ab. Auch diese Feuertaufe bestand sie mit Bravour, wie die Kölner Zeitungen berichteten. Unter der Leitung des Präsidenten Bormkessel folgten neun weitere Veranstaltungen. Gleich in der ersten Session organisierte die Prinzen-Garde unter der Schirmherrschaft des Festkomitees einen Maskenball, der erstmals in der Geschichte des Kölner Karnevals an einem Karnevalssamstag gefeiert wurde. Die neue Garde erlebte mit dieser Veranstaltung einen durchschlagenden Erfolg. Der Ball, dessen Erlös an das Festkomitee ging, wurde schnell zur Tradition und wird auch heute noch, nach genau 100 Jahren, mit etwa 5000 Gästen ausgerichtet. Ureigenste Aufgabe der Prinzen-Garde war es natürlich auch schon in der Session 1906, den Prinzen Karneval (Wilhelm Welsch) zu begleiten, der genauso wie der Kölner Bauer (Gustav Nolting) und die Kölner Jungfrau (Emil Mewes) von der gerade gegründeten Garde gestellt wurde. Den Höhepunkt der Session 1906 erlebten die Prinzengardisten aber sicherlich im Rosenmontagszug, der in diesem Jahr das Prunkmahl des Prinzen Karneval, angefangen bei den Vorspeisen, Suppen und Braten bis hin zum Konfekt, Kaffee und Sekt, darstellte. Der Prinz thronte auf einem Blumenthron. Seinen Wagen zogen sechs Pferde, die von Prinzengardisten geritten wurden. Die Prinzen-Garde marschierte beziehungsweise ritt dem Wagen voran und kündigte ihn mit klingendem Spiel an.
Aschermittwoch konnte die Prinzen-Garde auf eine überaus gelungene Session zurückblicken. Sie hat sich, erklärte der Präsident der Großen Karnevalsgesellschaft, Wilhelm Wildt, am 25. Februar 1906, „in so schneller Zeit zu hoher Blüte entfaltet, daß sie fast tonangebend dasteht in der Ausgestaltung der Gruppen.“
Die Reiterei ist durchgebrannt
Die Leibgarde des Prinzen Karneval (Reiterkorps 1906)
So rasant der Aufstieg der Prinzen-Garde im Kölner Karneval in der Session 1906 gewesen war, so heftig folgten Probleme, mit denen die junge Garde zu kämpfen hatte. Durch eine allzu kurze Session 1907 stand die junge Gesellschaft mit einer leeren Kasse da. Unter anderem dies führte dazu, dass sie sich organisatorisch vom Festkomitee löste. Aber es kam noch schlimmer, wie sich den Zuschauern am Wegesrand im Rosenmontagszug 1908 deutlich zeigte. Sie bekamen ein ganz besonderes Schauspiel geboten – ein Zwiegespräch zweier Gesellschaften darüber, wer das „wahre“ Begleitkorps des Prinzen Karneval stellte. Weithin hörbar ertönte es vom Musik- und Trommlerkorps (65. Infanterie Regiment) der Prinzengardisten: „Das ist die Garde, die ihren Prinzen liebt“. In Erwiderung kündeten die Deutzer Eisenreiter mit dem Lied „Die Reiterei ist durchgebrannt“ die neu gegründete Leibgarde des Prinzen Karneval zu Pferd an. Nach gerade zwei Jahren hatte sich das Reiterkorps vom Mutterverein abgespalten.
Entsprechend hatte der Kölner Stadt-Anzeiger am 17. Februar 1908 verkündet: „Unter dem Namen Leibgarde des Prinzen Karneval und unter dem Präsidium von Herrn Joseph Wildt hat sich die berittene Abteilung der Prinzengarde von dieser getrennt und bildet ein Korps für sich, daß künftig dem jeweiligen Prinzen Karneval als Leibgarde dient.
Den genauen Grund für die Trennung können wir dieser Zeitungsnotiz nicht entnehmen. Von „missverständlichen Auffassungen“ schrieb Fritz Tholfus sen. rückblickend im Jahr 1914. Gründe mögen demnach in den unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen gelegen haben, denn im Gegensatz zum Fußkorps sah sich das Reiterkorps nicht als Karnevalsgesellschaft, sondern als Reiterverein. Jedenfalls trafen sich im Frühjahr 1908 insgesamt 24 Herren aus dem gehobenen Bürgertum, um sich als „Leibgarde des Prinzen Karneval (Reiterkorps 1906)“ zusammenzuschließen. Sie bestimmten auf einer konstituierenden Sitzung Joseph Wildt aus ihrer Mitte zum ersten Präsidenten der Leibgarde. Unter seiner Leitung frönten die 24 Herren das ganze Jahr über dem Reitsport, trafen sich zu Ausritten und veranstalteten Reiterfeste, so etwa ein erstes großes Fest im Frühjahr 1909, dessen Reinertrag für wohltätige Zwecke bestimmt war. Während der Karnevals-Session jedoch ging das Bestreben der Gesellschaft dahin, „neben der Pflege echten Kölner Humors im reichsten Maße der Wohltätigkeit zu dienen und zu diesem Zweck geschlossene Festlichkeiten zu veranstalten“. Hauptbestimmung der Leibgarde war es natürlich, das Begleitkorps des Prinzen Karneval darzustellen.
Damit trat sie in Konkurrenz zum Fußkorps der Prinzen-Garde. Am 24. Februar fand das umjubelte Stiftungsfest des Vereins als Damen-Komitee im Saale der Cäcilia Wolkenburg statt. In diesem Rahmen zeigten sich die Leibgardisten wohl zum ersten Mal einem größeren Publikum in ihren friederizianischen weiß-roten Uniformen und dem historischen Dreispitz, die man schon vom (ehemaligen) Reiterkorps der Prinzen-Garde kannte.
Möglicherweise präsentierte sich auf diesem Komitee auch schon das Dreigestirn dem Publikum. Denn die drei Hauptfiguren des Kölner Karnevals wurden 1908 von der Leibgarde gestellt, was für die gerade gegründete Gesellschaft eine besondere Auszeichnung war. Wie auch in den folgenden Jahren schlugen Prinz Karneval und Leibgarde ihr Hauptquartier im Westminster-Hotel auf. Von dort eskortierte das Begleitkorps den Prinzen zu verschiedenen Veranstaltungen, wechselte sich dabei allerdings mit der Prinzen-Garde ab. Im Rosenmontagszug 1908 ritt die Leibgarde mit einem eigenen, von den Kürassieren gebildeten Trompeterkorps in den Uniformen der Leibgardisten, mit einer eigenen Leibpost und mit dem Reiterkorps ihrem Vereinskameraden, Prinz Felix I. im stattlichen Prinzenwagen, voraus.
Zu Beginn des Jahres 1909 löste der spätere Erste Vorsitzende der Prinzen-Garde, Fritz Maaß, Joseph Wildt als Präsident der Leibgarde ab. Unter seiner Leitung und mit dem neuen Kommandanten Heinrich Schwarz als Harry Schwarzstein konnte die Leibgarde weiterhin auf sich aufmerksam machen. Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung, am 1. Februar 1909, veranstaltete die noch junge Garde ihren ersten Maskenball im Gürzenich, der einen prächtigen Verlauf nahm: „Wenn man in Betracht zieht, dass diese Gesellschaft keine Karnevalsgesellschaft, sondern ein aus 24 Herren bestehender Reiterverein ist, so muß der Erfolg als glänzend bezeichnet werden.“ Auch in der Folgezeit konnte die Leibgarde die Erfolgsgeschichte zunächst fortschreiben, insbesondere mit dem Dreigestirn, das sie 1911 stellte. Denn der Leibgardist Emil Grewe eroberte als Prinz Karneval mit seinen Bühnenauftritten die Herzen des Publikums im Sturm. Auch der Darsteller der Jungfrau, Hubert Möst, erntete mit seinem schauspielerischen Talent jubelnden Beifall. Täuschend echt konnte er den grollenden „Alten Fritz“ auf der Bühne darstellen oder hielt als Napoleon unter schmetternden Fanfaren Einzug.
Dies scheint jedoch die letzte erfolgreiche Session für die Leibgarde gewesen zu sein. Der Präsident Fritz Maaß wechselte nach den tollen Tagen zur Prinzen-Garde und nahm dort gleich zu Beginn des Jahres 1912 einen Vorstandsposten wahr. 1913 ist der Name der Leibgarde aus dem Verzeichnis des Rosenmontagszuges verschwunden. Stattdessen taucht in diesem Jahr die Prinzen-Garde als „Die mobile Garde“, 1914 dann als Prinzen-Garde zu Fuß und zu Pferd auf. So endete also die Erfolgsgeschichte der Leibgarde, die dreimal das Kölner Dreigestirn stellte, nach nur fünf Jahren genauso schlagartig wie sie 1908 begonnen hatte.
Hermann Joseph Böhmer (1908–1910) – der Bewahrer der Prinzen-Garde
Am 13. Januar 1907 richtete der Präsident der Großen Kölner Karnevalsgesellschaft, Hermann J. Böhmer, Worte an die Besucher der Jubiläumssitzung seines Vereins, die im Nachhinein eine tiefere Bedeutung erhalten sollten: „Wir haben die Prinzengarde unter unsere Fittiche genommen; wir werden sie beschützen und bewahren und wünschen ihr vor allen Dingen den gleichen Erfolg wie bisher.“ Wenig später stürzte das Begleitkorps durch die Spaltung des Vereins in eine Krise und bedurfte wirklich seiner Hilfe. Diese gewährte Böhmer als Präsident der „Großen“ in der Session 1908 zunächst als Sitzungspräsident. Am 17. Oktober 1908 übernahm er auch die Leitung des Vereins. Mit Böhmer, „der Goldene Hermann“ genannt, fand sich ein Nachfolger für den amtsmüde gewordenen Carl Bormkessel. Böhmer war im Kölner Karneval alles andere als ein unbeschriebenes Blatt war – immerhin hatte er mit den Roten Funken, der „Großen Kölner“ und der „Großen“ zuvor schon drei traditionsreiche Karnevalsgesellschaften geleitet.
Unter seiner Leitung blühte „die Garde wieder auf und alle Veranstaltungen hatten einen guten Erfolg“, ist in der Denkschrift zum 25-jährigen Jubiläum der Prinzen-Garde zu lesen. Er bewahrte den Verein vor weiteren Querelen und brachte ihn in ein ruhigeres Fahrwasser, wenngleich er nicht gerade den Ruf einer durchsetzungskräftigen Persönlichkeit hatte. Besonderes Anliegen des Präsidenten war es, die allgemeinen Bemühungen um Reformierung des Kölner Karnevals auch in den Sitzungen seines Vereins durchzusetzen. Er sorgte dafür, dass die von ihm geleiteten Sitzungen frei waren von zweideutigen Reden, „Revuetänzen“ oder anderen Einflüssen der Revuen beziehungsweise Varietés, die schon lange von der Kölner Bürgerschaft kritisiert worden waren.
Neben dieser positiven Entwicklung lag aber auch ein großer Schatten auf der Amtszeit Böhmers – die Leibgarde des Prinzen Karneval. Nach nicht einmal zwei Jahren an der Spitze des Vereins starb Hermann J. Böhmer am 25. August 1910 in Köln. Er hatte die Prinzen-Garde nach der Krisenzeit konsolidiert. Die negativen Folgen der Teilung hatte aber auch er nicht beseitigen können. Sie belasteten die Garde auch über die Amtszeit Böhmers hinaus.
Carl Umbreit (1911-1914) – der Einiger der Prinzen-Garde
Ohne einen Nachfolger für den im August 1910 verstorbenen Böhmer im Präsidentenamt gefunden zu haben, musste die Prinzen-Garde in die neue Session gehen. Nach einer Übergangslösung brachte ein Mann dem Begleitkorps des Prinzen Karneval neuen Schwung, ein Mann, der dem Kölner Karneval insgesamt während eines Zeitraums von über vier Jahrzehnten Impulse geben konnte: Carl Umbreit. „Jugendfrisch und tatenfroh führte er das Korps als Präsident und Kamerad zu schöner Blüte“, heißt es in der Vereinschronik zum 25-jährigen Jubiläum der Prinzen-Garde. Als er am 13. März 1911 als Präsident und Kommandant das Ruder der zuvor provisorisch geleiteten Prinzen-Garde übernahm, war er gerade einmal 32 Jahre alt, dafür aber bereits einige Jahre als Karnevalist aktiv. Nicht nur durch „ursprünglichen Mutterwitz“ und „volkstümlichen Humor“ soll er sich ausgezeichnet haben, sondern vor allem durch beißende Satire. Entsprechend trug er die Spitznamen „Leutnant von Versewitz“ oder auch „Carl der Kühne“. 1909 trat er in die „Große Allgemeine“ ein und übernahm am 11. November 1911, also nur wenige Monate nach seiner Berufung zum Präsidenten der Prinzen-Garde, gleichzeitig den Vorsitz dieser Gesellschaft, die er bis zum 8. Mai 1950 leiten sollte.
Als Präsident der Prinzen-Garde ist es Umbreit zu verdanken, dass das Begleitkorps des Prinzen Karneval heute mit einem Fuß- und einem Reiterkorps vor uns steht – er führte die Einigung der Garde herbei. Insbesondere nach dem für beide Seiten unerfreulichen Konkurrenzkampf war dies ein bedeutender Schritt für den Verein. Jedenfalls tauchte die abtrünnige Leibgarde, wie geschildert, ab 1913 nicht mehr im Verzeichnis des Rosenmontagszuges auf.
Das, was seinem Vorgänger Böhmer wohl ein wenig gefehlt hatte, brachte Umbreit mit: Entschlossenheit und Durchsetzungsfähigkeit. Und so scheint er die Garde auch geführt zu haben. Er scheint bei der Leitung des Vereins neben dem Vorstand auf Senatoren zurückgegriffen zu haben, die erstmals im Januar 1914 in schriftlichen Quellen auftauchen. Sie sollten wohl dem Verein mit „Rat und Tat“ zur Verfügung stehen, wie es später in der Satzung des Jahres 1922 steht. Mit Hilfe dieser beiden Gremien achtete Umbreit darauf, dass sich die Prinzen-Garde auf ihren Sitzungen als Wahrerin des traditionellen Kölner Karnevals präsentierte. Spätestens 1913 hatte Umbreit die Prinzen-Garde aus der Krise herausgeholt und ihr zu einer neuen Hochphase verholfen. Indiz dafür ist die Einrichtung ihres Wachtlokals in der altehrwürdigen Wolkenburg, dem Vereinshaus des Kölner Männer-Gesangs-Vereins. Indiz dafür ist aber auch, dass die Prinzen-Garde mit Franz Oberliesen sen. nach mehreren Jahren wieder den Prinzen Karneval stellen konnte. Doch schon wenige Jahre nach seinem Amtsantritt scheint ihm die Führung zweier großer Karnevalsgesellschaften zu viel geworden sein. Noch im Laufe der Session 1914 trat er von seinen Ämtern zurück und widmete sich fortan ausschließlich der „Großen Allgemeinen“. Die Prinzen-Garde hatte sich unter den ersten drei Präsidenten im Kreis der führenden Karnevalsgesellschaften etabliert. Mit dem Ersten Weltkrieg ging eine erste erfolgreiche Phase zu Ende. Es folgten schwierige Jahre…
Marcus Leifeld
Nachzulesen in: Die Prinzen-Garde Köln. Eine Geschichte mit Rang und Namen, hrsg. für die Prinzen-Garde Köln 1906 e.V. von Michael Euler-Schmidt und Marcus Leifeld. Mit Beiträgen von Hildegard Brog, Michael Euler-Schmidt, Marcus Leifeld und Thilo Nowack, Köln 2005, Bachem Verl., ISBN..256 S.